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Sie läuft den Klischees zuwider

Die Schauspielerin Atina Tabé über Zugehörigkeiten, Musik und «Relikte aus einer Zeit, in der Männer keine Kinderwagen geschoben haben». Ein Portrait.

Knielanger Mantel, die dunklen Haare offen: Atina Tabé, 38, biegt in Solothurn aus der Schaalgasse in den Landhausquai. In je einer Hand eine grosse Kaffeetasse. Abgemacht war an der Aare. Dass sie den Kaffee gleich selbst mitbringt, überrascht. Guter Milchschaum sei Ehrensache. Ihr Akt aber verrät: Herzlichkeit ist eine Gabe. Auf der flachen Treppe, die letzten Sonnenstrahlen des Tages im Gesicht, spricht Atina Tabé vom Theater, von Berlin-Neukölln, von Gesellschaftlichem und Familiärem. Von Minderheiten, vom Gesang. Seit 2014 ist sie im Ensemble des Theaters Biel Solothurn (Tobs), beim bevorstehenden Direktionswechsel wird es eine Dekade sein.

«Ich fühle mich sehr wohl und gesehen», sagt sie und bezeichnet die Zeit bisher als eine sehr bereichernde. Mit «gesehen» meint sie, dass Katharina Rupp bei der Besetzung der Rollen Tabés Potenzial in seinem ganzen Spektrum ausschöpft, was nicht selbstverständlich sei. «Am Anfang meiner Karriere musste ich feststellen, dass die Rollen, die mir angeboten wurden, aufgrund von Äusserlichkeiten auf das Klischee ‹Ausländerin› reduziert waren.» Diese Limitierung habe sich gewandelt, nicht zuletzt auch dank der Solothurner Schauspieldirektorin. «Sie hat mich von Anfang an gesehen.» Nicht auf ihr Äusseres reduziert zu werden, bedeute für Atina Tabé in gewisser Hinsicht auch eine Art Heilung.

Atina Tabé in «Ferferi. Vom Ankommen und Fernbleiben». Foto: TOBS

Limitierung, die Zementierung von Klischees – das ist ihr zuwider. Ausschliesslich die Frau mit Kopftuch zu spielen, das kann einer Künstlerin nicht reichen. Bevor Atina Tabé nach Solothurn kam, war sie in Deutschland und Österreich als freie Schauspielerin tätig und sang in der Berliner Band Laing, als die Anfrage von Rupp sie erreichte. «Ich fand das interessant.» Bereut hat sie ihre Zusage nie. Auch wenn es bedeutete, dass sie von Berlin nach Solothurn zog, Familie und Freunde zurückliess. Die Kleinstadt habe sie weder beengt noch gelangweilt. «Die Verbindung des Publikums zum Theater hier ist beeindruckend», sagt sie.

Seit zweieinhalb Jahren ist Atina Tabé Mutter. «Katharina Rupp war bereit, ein familientaugliches Modell zu schaffen, bei dem wir uns eine Stelle teilen können.» Ihr Partner Matthias Schoch ist ebenfalls festes Ensemblemitglied am Tobs. Dass ernst gemeinte familienfreundliche Arbeitsbedingungen eine Seltenheit sind, nicht nur am Theater, versteht sich. «Viele Regelungen, zum Beispiel, dass ein Vater nach der Geburt seines Kindes nur ein paar Tage der Arbeit fernbleiben kann, sind Relikte aus einer Zeit, als Männer noch keine Kinderwagen geschoben haben.» Das werde ihnen schlicht nicht gerecht. Auch dass eine Frau dreieinhalb Monate nach der Entbindung wieder am Arbeitsplatz stehe, einsatzbereit wie vor der Geburt ihres Kindes – «das kann man einfach nicht verlangen. Das sind Reglemente von Menschen, die keine Kinder gebären.» Dass sie auch als Mutter ihre Berufung lebt, ist keine Frage. Weder für sie noch für ihren Partner. «Nur eine glückliche Mutter ist eine gute Erzieherin», zitiert sie die Lyrikerin Mascha Kaléko.

Hier der ganze Text, erschienen in der Solothurner Zeitung.
Ferferi فرفری. Vom Ankommen und Fernbleiben (Atina Tabé)